Was für ein Anblick! Als wir mit unserem Motorboot auf die Eiswand des Gletschers Austdalsbreen im Jostedalsbreen National Park zurasen denke ich noch: Da bist du wohl nicht warm genug für angezogen. Aber dieser Gedanke ist nur kurz zu hören, zu sehr fasziniert mich das leicht bläulich schimmernde Eis.
Wir sind vom Breheimsenteret gemeinsam mit unseren Guides von Icetroll zum Parkplatz am Gletschersee Styggevatnet gefahren. Von hier aus sollten wir eigentlich mit Kayaks über den See rudern, und dann auf dem Gletscher wandern, nur um mit eben jenem Kayaks auch wieder zurückzurudern.
Das Wetter hat dies verhindert. Denn ausgerechnet heute ist ein Tag mit viel Regen. Der ist zwar nicht stark, aber er verhindert doch, dass wir in die Boote steigen können. Nur in das Motorboot können wir steigen. Allerdings ist unsere Wandergruppe für die Gletscherwanderung so groß, dass wir in zwei Etappen übersetzen müssen. So bleibt uns genug Zeit die Szenerie zu bewundern und ein paar Fotos und Videos zu machen.
Während dieser Zeit schaut die Sonne lange genug heraus, um einen zauberhaften Regenbogen über den See zu setzen. Allerdings bleibt für ein Foto nicht richtig viel Zeit. Die Sonne scheint heute woanders scheinen zu wollen, und nach einem kurzen Augenblick der Hoffnung ziehen wieder die tristen Regenwolken am Himmel auf.
Inhalt
Über den See
Wir stehen noch ein Weile am Ufer und schauen uns um. Den Austdalsbreen können wir hier vom Ufer aus übrigens nicht sehen. Die restliche Reisegruppe steht verteilt, wie das halt so ist, wenn wildfremde Menschen plötzlich für einen gemeinsamen Ausflug zusammenkommen. Wir werden später aneinandergebunden über den Gletscher wandern, denn Sicherheit ist ein großes Thema auf dem Eis.
Kurz bevor uns langweilig wird können wir in der Ferne das Motorboot sehen. Schnell wird es größer, und Carlos, unser Fährmann, und später für eine kurze Zeit auch unser Guide auf dem Nigardsbreen, legt am Steg an. Wir bekommen unsere Schwimmwesten und die Anweisung uns gleichmäßig im Boot zu verteilen. Ich darf mich schön auf die Mittelkonsole setzen, die selbstverständlich nass ist. Also bin ich froh, dass ich mir vorher eine passende wasserfeste Outdoorhose von Fifty Five geholt habe.
Wir legen ab und brausen zügig über den See. Der See heisst Styggevatnet. Stygg heißt auf Norwegisch häßlich. Und niemand von uns im Boot kann auch nur annähernd begreifen wie der See zu so einem unpassenden Namen kommen konnte. Das Wasser ist an keiner Stelle klar, aber alleine die Umgebung macht aus einem häßlichen See glasklar eine Schönheit.
Kleider machen Leute
Nachdem wir mit unserem Boot am kleinen Steg angelegt haben und alle ausgestiegen sind werden wir die Schwimmwesten los, sammeln uns kurz und wandern ein paar Meter bis zum Fuß der Eismassen. Dabei gehen wir über kleine und große Steine zwischen denen Wasser vom Berg hinab fließt. Ein guter Tipp: Achtet sehr darauf wohin ihr eure Füße setzt. Nicht jeder Stein sitzt fest an seinem Platz, und stellenweise ist das Rinnsal doch breit und tief genug, um eure Füße vollkommen zu durchweichen. Und ihr wollt nicht mit nassen Füßen aufs Eis!
Bevor wir die Gletscherwanderung beginnen können müssen wir uns zunächst mal passend kleiden. Egal wie rutschfest eure Sohlen sein mögen: Auf Eis ist das alles wertlos! Also müssen Spikes unter die Schuhe (Zu den unterschiedlichen Auffassungen von passendem Schuhwerk komme ich gleich noch.). Aber Spikes sind nicht das Einzige was ihr für eine Gletscherwanderung auf dem Austdalsbreen braucht. Ihr geht als Gruppe, also werdet ihr mit Seilen aneinandergebunden, damit ihr euch gegenseitig auf dem Gletscher sichern könnt.
Dazu mussten wir ein paar lustige Sachen anziehen und vorher lernen wie was wann wo hinkommt. Am Ende seht ihr dann in etwa so aus wie wir auf den Fotos. Das Anziehen dauert eine Zeit. Denn ihr bekommt alles haarklein auf Englisch erklärt. Zur Not hilft euch euer Guide beim Anziehen. Die Spikes anzuziehen ist übrigens eine Wissenschaft für sich. Total kompliziert, spätestens wenn ihr das Lederband am Ende durch irgendwelche Schlaufen ziehen müsst. Das müsst ihr wirklich selbst erleben!
Was ihr unbedingt auch mit eigenen Augen sehen müsst ist das abwechslungsreiche Schuhwerk mit dem Leute auf einen Gletscher zu steigen gedenken. Lustig aussehende Sportschuhe sind vertreten, normale Straßenschuhe mit glatter Sohle, ich habe nur hochhackiges Schuhwerk vermisst. Aber vermutlich kommt so etwas auch gelegentlich vor.
Auf der Homepage wird euch vorgeschlagen welche Kleidung und welches Schuhwerk sinnvoll ist. Meine Tipps:
- Feste Schuhe, am besten Wanderstiefel
- Mütze
- Schal
- Handschuhe
- Regenjacke
- Rucksack mit Essen & Trinken
Gletscherwanderung Austdalsbreen
Aber irgendwann steht ihr dann da mit euren Sachen. Spikes unter den Schuhen, und ihr seid eingeklinkt und geht ab jetzt als Gruppe. Falls einer in eine Gletscherspalte fällt, dann fangen alle anderen ihn auf. Wir kommen auf unserer Gletscherwanderung an keiner Spalte vorbei, wo ich denke: Jo, die könnte es sein. Aber Eis kann brechen, rutschen, ihr könnt stürzen (Wobei das mit den coolen Spikes nahezu unmöglich scheint.) Und ich sag mal: Ein Gefühl von Sicherheit kann in so einer Umgebung nicht schaden.
Wir haben mit dem Wetter noch Glück, auch wenn es leicht regnet und ein wenig Wind weht. Das geht aber noch doller, und ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es sich hier oben anfühlt, wenn der Regen richtig runterkommt und der Wind nicht nur als leichte Brise weht. So haben wir bei diesem Wetter viel Spaß, weite Sicht und bekommen von unseren Guides einige Infos rund um diesen Gletscher und über Gletscher im Allgemeinen.
Ich persönlich fand wir hatten ein paar Stopps zu viel. Aber wir waren in mehrere Gruppen aufgeteilt, und ab und zu mussten wir warten bis die vordere Gruppe mit ihrem Abschnitt der Gletschertour fertig war. Entweder waren die neugieriger oder sie haben schlechter Englisch gesprochen. Auf jeden Fall hatten wir immer wieder Zeit uns in aller Ruhe umzuschauen.
Leider habe ich diese Zeit nicht für Fotos genutzt, weil ich jedes Mal befürchtet habe, es würde sofort weitergehen, und dann hätte ich wieder meine Handschuhe anziehen, meinen Eispickel mit der Schlaufe um meine Hand legen, und das Führungsseil hochheben müssen. Obwohl ich ja auch beim Aufbruch immer noch etwas Zeit habe, denn das Seil soll leicht stramm liegen. Die vorderen Mitglieder der Wandergruppe müssen also zunächst mal ein paar Meter gehen.
Die erste Strecke führt steil hoch auf den Austdalsbreen Gletscher. Der liegt dann aber nahezu eben vor euch. Auf der gegenüberliegenden Seite seht ihr einen der typischen norwegischen Berge, und kurz habe ich gedacht dahin würde unsere Reise gehen. Zum Glück sind wir vorher in weitem Bogen zurückgewandert. Denn es ist ein kleines bißchen anstrengend da oben auf dem Gletscher.
Die Spikes sind scharf und so sollt ihr nicht einfach vor euch hinstapfen wie ihr es normalerweise tut. Ihr sollt etwas breitbeiniger gehen, und die Füße ausnahmsweise auch mal hochnehmen. Sonst bleibt ihr nämlich sehr schnell mal hängen. Ansonsten habt ihr dank dieser Hilfsmittel einen absolut sicheren Stand auf dem Eis. Versucht auch möglichst nicht auf das Sicherheitsseil zu treten. Wenn ihr das mit den scharfkantigen Stellen eurer Spikes zerstört ist es vorbei mit der Sicherheit.
100 Jahre Eis
Das Gletschereis unter uns könnte durchaus mal so um die 100 Jahre und älter sein. Es entsteht durch den Druck der Schneedecke und dadurch, dass nicht alles immer abtauen kann. Nach und nach wird die Eisdecke dicker und am Ende liegt sie dann hier vor uns, und wir können sie bewandern. Selbstverständlich ist die Entstehung eines Gletschers sehr viel komplexer als in den kurzen Sätzen beschrieben. Und nahe Forde findet ihr ein Gletschermuseum.
Aber auch das Breheimsenteret wo wir unsere Tour begonnen hatten, bietet eine Menge Informationen zum Thema Gletscher. Und ist überhaupt, auch wegen der auffälligen Optik, einen Besuch wert. Wegen des Kaffees übrigens nicht. Der schmeckt nicht. Auf der Terrasse des Breheimsenteret könnt ihr direkt auf den Nigardsbreen Gletscher schauen, dessen Eis sich nach und nach bis hinunter ins Tal seinen Weg gesucht hat.
Jetzt laufen wir aber hier über das Eis das seit 100 Jahren auf uns gewartet hat. Mittlerweile von hunderten Spikes aufgerissen, geduldig Zentimeter um Zentimeter weiter den Berg hinunter unterwegs. Ich hätte es hier oben viel ruhiger erwartet. Aber es ist Eis und kein Schnee. Hier wird kein Schall geschluckt. Hier wird gefunkelt, geblitzt und immer wieder hören wir das sanfte Rauschen des Schmelzwassers, dass sich den Weg des geringsten Widerstands sucht, und manchmal viele Meter in den Gletscher hineinstürzt.
Und hinab
Mitten auf dem Gletscher bekommen wir dann während unserer Tour einen heißen Kakao gereicht. Kirsten, unser Guide aus Neuseeland, verteilte Plastikbecher, kramte die Thermoskanne aus dem Trekkingrucksack und schenkte uns die dampfende schwarze Flüssigkeit ein. Ich sagte noch, ich wolle nicht so viel. Warum auch immer. Das Zeug hat herrlich geschmeckt, und es war wunderbar heiß.
Nach einer Stunde auf dem Austdalsbreen Gletscher war mir langsam – trotz der guten Outdoorklamotten – etwas kalt geworden. Die Handschuhe vom Grabbeltisch und die Mütze, die nur knapp über die Ohren reichte waren keine gute Wahl gewesen. Also nochmals der Hinweis: Ihr steht mitten im Eis. Selbst im Sommer kann es hier empfindlich kalt sein! Packt euch warm ein. Soll ich an dieser Stelle auch noch das Loch vorne in meinem linken Schuh erwähnen? Sowas macht es auch nicht besser mit der Behaglichkeit.
Auf dem Rückweg mussten wir zweimal neue Wege suchen. Denn es gibt hier oben natürlich Stellen, wo man vielleicht privat als erfahrener Guide, nicht aber in einer Gruppe mit untrainierten Touristen langläuft. Sicherheit geht vor, und das ist gut so. Also dauerte es etwas, bis wir an der Kante des Gletschers standen und von hier oben auf den sich ausbreitenden See (Der hier an dieser Stelle nicht mehr Styggevatnet heißt, sondern NAMEFEHLT!) schauen konnten.
Weit unten konnten wir sehen, dass sich das Motorboot näherte, dass uns gleich zurück zum Staudamm bringen würde. Hinter uns lag der Gletscher. Der erste Gletscher auf dem ich gewandert bin. Aber sicherlich nicht der Letzte!